Wie groß ist die Unendlichkeit? Eine dumme Frage, sie ist eben unendlich groß, sollte man meinen. Aber so leicht lässt sich diese Frage doch nicht beantworten.
Schon immer haben sich die Gelehrten, Philosophen, Theologen, Physiker und Mathematiker mit dem Begriff der Unendlichkeit befasst, jeder auf seinem Gebiet. Alle haben sie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und neue Aspekte hinzugefügt.
Lange Zeit ging es um die Frage, ob man die "Unendlichkeit" als potenziell (eine Erfindung des Philosophen Aristoteles) oder als aktual auffassen sollte. Potenziell bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Unendlichkeit lediglich als Möglichkeit existiert. Wenn ich z.B. anfange zu zählen, werde ich wegen der Endlichkeit meines Lebens niemals die Unendlichkeit erreichen, so weit ich auch mit der Zählerei komme, immer noch liegt das Unendliche in unerreichbarer Ferne. Die Vertreter der aktualen Unendlichkeit dagegen stellen sie sich als ein bereits vorhandes abgeschlossenes Ganzes vor. Wenigsten war man sich darin einig, dass zumindest ein aktual Unendliches existiert: nämlich Gott.
Oft werden die beiden Begriffe "unendlich" und "unbegrenzt" miteinander verwechselt. Dabei sind sie sind nicht identisch. Den Unterschied ann man sich am besten verdeutlichen, wenn man sich die Erdoberfläche vor Augen führt. Ich kann, wenn ich von einem beliebigen Punkt starte, prinzipiell immer weiter in eine Richtungen gehen, ohne jemals auf eine Grenze zu stoßem, sieht man einmal von natürlichen Hindernissen ab, aber es gibt keine Grenze, keine Mauer, hinter der es nicht weitergeht. D.h. die Oberfläche unseres Planeten ist zwar unbegrenzt, aber nicht unendlich, denn ihr Flächeninhalt hat eine endliche Größe und sie umschließt ein endliches Volumen.
Für den Philosophen Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) war das Fehlen einer Grenze ein Mangel. Für ihn war die Welt vollkommen und nach seiner Auffassung mußte etwas Vollkommenes auch eine Grenze besitzen. Er glaubte, die existierende Welt befände sich innerhalb der äußersten Kristallschale, an der die Fixsterne befestigt sind, und es gäbe kein "Draußen" außerhalb der Welt. begriffen ist. Der Dichter und Philosoph Lukrez (etwa 96 v. Chr bis 55 v. Chr.) widersprach der Auffassung des Aristoteles und sagte: "Zeig mir, lieber Aristoteles, deine Weltgrenze. Ich will hingehen, mich auf die Grenzmauer stellen und meinen Speer werfen. Wohin fliegt er? Wird er zurückgeworfen, oder fliegt er über die Grenze? Was geschieht mit dem Speer? Mit dieser Frage will ich dich verfolgen, bis du mir eine einleuchtende Antwort geben kannst."
Ein ganz besonderes Kapitel im Zusammenhang mit dem Begriff Unendlichkeit ist die Ewigkeit, eine unendlich lange Zeitdauer. Nun ist die Zeit sowieso ein sehr schwer fassbarer Begriff, vielleicht gibt es sie in Wirklichkeit gar nicht und sie ist lediglich ein Konstrukt unseres Gehirns, eine Krücke für unser Bewußtsein, damit wir uns in dieser Welt zurechtfinden können. Die Unterteilung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist ja bei näherer Betrachtung schon etwas eigenartig, denn genau gesehen, ist das, was wir unter Gegenwart verstehen, ein Etwas, dass auf der Trennlinie zwischen zwei "Nichtsen" liegt, denn die Vergangenheit existiert nicht mehr und die Zukunft noch nicht. Und dieses Etwas der Gegenwart scheint sich unaufhörlich in eine Richtung, die Zukunft, zu bewegen, oder die Gegenwart steht still und die Ereignisse strömen aus der Zukunft, so wie bei einem Fluß, an uns vorüber. Albert Einstein meinte ja auch, dass die Physiker inzwischen wüssten, dass Zeit nicht existiert und er bezeichnete sie als eine "hartnäckige Illusion". drehen. Andere verweisen darauf, dass sich die Zeit bisher jeder experimentellen Überprüfung entzogen hat, ja dass man nicht einmal weiß, wie ein solches Experiment auszusehen hätte und dass das Einzige, was man über sie sagen könnte wäre, dass sie mit einer Sekunde pro Sekunde vergeht. Wenn nun aber Zeit nur eine Illusion ist, was für einen Sinn hat es dann, von einer unendlich langen Zeitdauer, von der Ewigkeit zu reden?
Am unbekümmersten mit der Unendlichkeit gehen wohl die Mathematiker um. Seit Georg Cantor (3. März 1845 bis 6. Januar 1918) seine Mengentheorie (mit der er die Unendlichkeit in den Griff bekommen wollte) entwickelt hat, hat auf diesem Gebiet eine wahrhaft explosive Entwicklung stattgefunden. Aus den einfachen Unendlichkeiten eines Aristoteles oder eines Lukrez ist eine wahre Vielfalt von Unendlichkeiten unterschiedlichster Stufen geworden. Um das zu verstehen, müssen wir uns kurz mit der Mengentheorie befassen. Am besten stellt man sich eine Menge so ähnlich wie eine Liste vor (wobei es nicht auf die Reihenfolge ankommt), auf der verschiedene Objekte (Elemente der Menge) aufgeführt sind. Eine Menge kann leer sein oder beliebig viele Elemente enthalten, allerdings darf keines mehrfach vorkommen. Auch können Mengen Elemente von anderen Mengen sein. Die Kardinalzahl einer Menge gibt an, aus wievielen Elementen sie besteht.
Um zwei verschiedene Mengen hinsichtlich ihrer Größe zu vergleichen, muss ich ihre Kardinalzahlen gar nicht kennen, ja ich muss nicht einmal zählen können. Nehmen wir einmal die Mengen A = {Ball; Kreisel; Eisenbahn} und B = {Puppe; Auto; Teddy; Springseil}. Wie gehen nun zwei kleine Kinder vor, die herausfinden wollen, wer mehr Spielzeug besitzt? Ganz einfach, sie ordnen ihre Spielsachen (die Elemente der beiden Mengen) paarweise an, also: Puppe – Ball, Auto – Kreisel, Teddy – Eisenbahn, Springseil – kein Element. Und so können sie ohne abzuzählen feststellen, wer mehr Spielzeug hat. Genauso geht man vor, wenn man zwei unendlich große Menge miteinander vergleichen will, z.B. die Menge der natürlichen Zahlen (1 2 3 …) und die der geraden Zahlen (2 4 6 …) Welche ist nun größer? Ich ordne ihre Elemente paarweise an: 1 – 2, 2 – 4, 3 – 6, 4 – 8 usw. und stelle fest, dass kein Element jemals ohne Partner ist. Die beiden Mengen sind also gleichgroß. Sie besitzen die gleiche Kardinalzahl, nämlich Aleph_Null (Dieser Begriff wurde von Cantor eingeführt). Kunststück, unendlich ist halt unendlich! Doch ganz so einfach ist es nicht.
Was ist, wenn wir die Potenzmenge von N (die Menge der natürlichen Zahlen) bilden? Unter einer Potenzmenge einer Menge M versteht man die Menge aller Teilmengen von M. Aus einer gegebenen Menge kann man sich beliebig viele (von keinem bis zu allen) herausnehmen und aus diesen ausgewählten eine neue Menge bilden, die man dann eine Teilmenge von M nennt. Beispiel: Wenn M = {Hund; Katze; Maus} kann man beispielsweise die Teilmengen {Hund; Maus} {Katze} {} (kein Element ausgewählt) {Hund; Katze} bilden. Fasse ich nun alle möglichen Teilmengen von M zusammen, dann erhalte ich die Potenzmenge von M = {{}; {Hund}; {Katze}; {Maus}; {Hund; Katze}; {Hund; Maus]; {Katze; Maus} {Hund; Katze; Maus}}. Wie man sieht, ist die Potenzmenge von M um einiges größer als M. Genaugenommen hat eine Potenzmenge einer Menge mit n Elementen 2^n Elemente. Und genauso ist es bei unendlichen Mengen. Die Anzahl der Elemente der Potenzmenge der Menge der natürlichen Zahlen (N) beträgt 2^Aleph_Null Elemente. Dieser neuen Menge teilt man die Kardinalzahl Aleph_Eins zu.
Sind Aleph_Null und Aleph_Eins gleich groß? Abzählen kann man die beiden Mengen ja nicht, also hilft nur, ihre Elemente paarweise anzuordnen, wie vorher bei den natürlichen und geraden Zahlen. Und dann muss man zu seinem Erstaunen feststellen, dass dies nicht geht. Die unendlich vielen Elemente von N (1 2 3 …) reichen nicht aus, um alle Elemente der Potenzmenge von M zu erfassen. Man sagt, N ist abzählbar unendlich groß, dagegen ist ihre Potenzmenge überabzählbar unendlich. Dieses Spiel mit den Potenzmengen kann man nun beliebig lang fortsetzen: Von der Potenzmenge von N kann ich deren Potenzmenge bilden und ihr die Kardinalzahl Aleph_Zwei zuteilen (die wiederum größer als Aleph_Eins ist) usw., bis in alle Ewigkeit -ein unendlich hoher Turm von immer größer werdenden Unendlichkeiten.
Sinnigerweise heißen bei den Mathematikern diese schon kaum begreifbaren Alephs "kleine Kardinalzahlen". Denn jetzt geht´s mit den Unendlichkeiten erst richtig los. Über dem unendlichen Turm der Aleph schweben in den Wolken als erstes die sogenannten unerreichbaren Kardinalzahlen . unerreichbar deshalb, weil man sie mit der Potenzmengenbildung nicht konstruieren kann. (Übrigens ist auch die 1 eine unerreichbare Kardinalzahl. Wenn man aus der leeren Menge {} mit der Kardinalzahl 0 die Potenzmenge bildet, landet man wieder bei der leeren Menge.) Nach den unerreichbaren folgen Kardinalzahlen mit solch poetischen Namen, wie z.B. unbeschreibbare, unfaltbare, ätherische, unaussprechliche bis hin zu den superriesigen Kardinalzahlen. Und ein Ende scheint nicht in Sicht.
Dennoch liegt die größte Unendlichkeit – die absolute Unendlichkeit – immer noch in unerreichbaren Fernen. Und man wird sie auch niemals erreichen oder begreifen können. Vielleicht ist diese ganze Suche nach immer größeren Unendlichkeiten ja nichts anderes als die Suche nach Gott (ein anderer Ausdruck für das Absolut Unendliche).