Autor | Ursula Neubauer | |
Buchtitel | Wolke 7 1/2 | |
Genre | Liebesroman – Frauenroman | |
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April
Der April machte seinem Namen alle Ehre. Es goss wie aus Kübeln. Der Sturm fegte über die Bäume hinweg, riss die Zweige von den kahlen Bäumen und jagte sie erbarmungslos durch die Luft. Der Wind peitschte über den See und wühlte das Wasser auf. Orkanartige Böen erfassten mein Auto und schaukelten es hin und her. Vom Fahrersitz aus betrachtete ich das Naturschauspiel mit einer Mischung aus Angst und Faszination.
Ich befand mich auf dem Parkplatz am See und wartete erneut auf einen Mann. Genauer gesagt hatte ich ein Date und als Treffpunkt diesen Parkplatz angegeben. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Außer meinem Auto stand nur noch ein anderes verloren herum.
„Er wird nicht kommen“, sagte ich zu mir. „Wer fährt denn auch freiwillig bei so einem Mistwetter durch die Gegend?“
Ich war nicht einmal verärgert, wenn er nicht aufkreuzen würde, da sich meine Begeisterung über dieses erste Treffen in Grenzen hielt. Meine Freundin Bettina hatte mich zu diesem Date fast überreden müssen. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie mich prüfend von oben bis unten betrachtet, einen Seufzer von sich gegeben und eine Entscheidung gefasst.
„Anne, dein Liebesleben ist eindeutig scheintot“, erklärte Bettina, „und das werden wir jetzt ändern.“
„Toll!“, grinste ich, „Leihst du mir deinen Mann?“
Bettina lachte und erwiderte: „Nee, der ist viel zu alt für dich. Du brauchst einen Jüngeren.“
Ich dachte, sie würde Spaß machen. Wie ernst es ihr war, merkte ich erst, nachdem sie mich kurzerhand in einer anderen Singlebörse angemeldet hatte und das Terrain nach jüngeren Männern absuchte. Mein Protestgeschrei prallte erfolglos an ihr ab. Zwei Wochen hielt ich ihren Überredungskünsten stand. Nach einer weiteren hatte meine Freundin mich so weit, dass ich mir zumindest die Profile der jüngeren Männer anschaute. Noch eine Woche verstrich, in der meine Freundin weiterhin auf mich einredete, und ich nahm endlich Kontakt zu einem Vierzigjährigen auf.
Sascha, so hieß er, schien ein lustiger Vogel zu sein, denn seine Mails waren so witzig und unbekümmert, dass er mir von Anfang an sympathisch war. Er wollte mich unbedingt persönlich kennenlernen. Aber ich blieb skeptisch. Fast zwanzig Jahre jünger, ob das gut geht?
Bettina überzeugte mich schließlich mit dem Argument: „Du meine Güte, Anne, du willst ihn doch nicht heiraten. Du willst Spaß haben. Wenn es mit dem Sex klappt, dann klappt das andere auch.“
An diesen letzten Satz sollte ich mich noch öfters erinnern. Im Moment allerdings überlegte ich angestrengt, ob meine Freundin Recht hatte und kam zu dem Ergebnis, dass ich allen Anschein nach zu verkrampft und angespannt war.
Nun saß ich bemüht locker und entspannt im Auto und wartete anscheinend vergebens auf meinen „Spaß“. Ich schaute auf meine Armbanduhr, runzelte die Stirn und wollte gerade das Fahrzeug starten, als jemand energisch an meine Fensterscheibe klopfte. Erschrocken fuhr ich hoch und starrte durch das angelaufene Glas. Undeutlich konnte ich die Umrisse eines Oberkörpers erkennen. Ich ließ die Fensterscheibe herunter, ein tropfnasser Kopf schob sich durch und sagte: „Hallo Anne, du bist doch Anne, oder?“
Ich war so verdattert, dass ich kaum ein Ja herausbrachte.
Der Kopf sagte: „Gott sei Dank. Du bist noch hier. Ich bin Sascha.“
Ehe ich etwas sagen konnte, wurde die Beifahrertür aufgerissen. Ein Mann, nass bis auf die Haut, rutschte auf meinen Beifahrersitz.
„Wo kommen Sie denn so plötzlich her? Sie tropfen!“, platzte ich heraus. War ich denn so in Gedanken gewesen, dass ich kein Auto bemerkt hatte?
Der junge Mann zeigte mit seinem Daumen in Richtung Straße und sagte: „Ich komme von dort und ich tropfe, weil draußen ein Unwetter ist, falls du es noch nicht bemerkt hast.“
Inzwischen war der Beifahrersitz durchnässt und auf dem Boden, wo ein Paar vergammelte Turnschuhe zappelten, bildete sich eine kleine Pfütze. Langsam wurde ich ärgerlich.
„Dass es regnet, sehe ich auch“, fuhr ich ihn an, „ich meine, wo ist dein Auto?“
Da er mich duzte, nahm ich mir das gleiche Recht heraus. Doch auf seine Antwort war ich nicht vorbereitet.
„Auto, ich habe kein Auto. Ich bin getrampt. Der Lkw-Fahrer hat mich an der Bundesstraße abgesetzt und ich musste den letzten Kilometer laufen.“
Er schüttelte sich wie ein nasser Hund, sodass die Regentropfen überall im Auto herumspritzten. Anschließend drehte er seinen Kopf zu mir und sah mich zum ersten Mal richtig an. Ich fuhr wie von einer Tarantel gestochen zurück, denn ich blickte geradewegs in das Antlitz meines Sohnes. Ich meine, es hätte das Gesicht meines Sohnes sein können. Es waren die gleichen braunen Augen, die mich spitzbübisch ansahen und das gleiche jungenhafte Gesicht, welches im Moment allerdings vor Nässe bibberte. Der ganze Körper zitterte und eine Reihe blendend weißer Zähne schlug vor Kälte aufeinander.
Ich war geschockt. Wenn dieser Sascha vierzig Jahre alt war, dann war ich achtzig. Da war doch wieder etwas ober faul! Das Beste wäre, ich würde die Autotür aufreißen und ihn in den Regen hinauswerfen und damit wäre diese unerfreuliche Episode zu Ende, bevor sie überhaupt angefangen hätte.
Sascha hatte wohl meine Gedanken an meinem Gesicht abgelesen. Er sah mich mit einem entwaffnenden Lächeln an und schniefte: „Bitte, liebe Anne, können wir nicht irgendwo hinfahren, wo es warm und trocken ist, dann erkläre ich dir alles. Wenn du mich jetzt hinauswirfst, dann hole ich mir den Tod.“
Er begann, demonstrativ zu husten und zu niesen. Eine Mörderin wollte ich nicht unbedingt werden. Wahrscheinlich waren es auch Reste von Muttergefühlen, die in mir schlummerten und mich davor zurückhielten, ihn vor die Autotür zu setzen.
Ganz so leicht wollte ich es ihm trotzdem nicht machen.
„Zeige mir deinen Personalausweis!“, forderte ich ihn auf.
„Was?“, stammelte er verwirrt.
„Deinen Ausweis, den wirst du doch dabei haben!“
Ich bemühte mich, meine Stimme fest und energisch klingen zu lassen.
Sascha begann, in seiner Tasche zu kramen. Ohne Erfolg. Er suchte hektisch in seiner Jacke, wo er schließlich mit einem erleichterten Aufatmen fündig wurde. Wortlos gab er mir seinen Personalausweis.
Sascha Fischer war dort eingetragen und – ungläubig schüttelte ich den Kopf – er war dreißig Jahre alt. Was war nur mit den Männern los? Der eine machte sich zehn Jahre jünger und der andere zehn Jahre älter! Ich war stinksauer. Hätte ich mich nur nicht auf Bettinas Schnapsidee eingelassen. Das hatte ich davon. Jetzt saß ein Jüngling, der mein Sohn sein könnte, schniefend und hustend neben mir im Auto.
„In Ordnung“, sagte ich möglichst cool, obwohl nichts in Ordnung war, und gab ihm das Papier zurück.
Sascha gab ein gewaltiges Niesen von sich und war inzwischen so am Zittern, dass er den Ausweis kaum halten konnte. Ich betrachtete den jungen Kerl unschlüssig. Wahrscheinlich war es Mitleid und die Ähnlichkeit mit meinem Sohn, die mich weich werden ließen. Ich fuhr mit Sascha in meine Wohnung. So wie er momentan aussah, wären wir sowieso in keinem Restaurant oder Café hereingelassen worden.
Sascha gab ein gewaltiges Niesen von sich und war inzwischen so am Zittern, dass er den Ausweis kaum halten konnte. Ich betrachtete den jungen Kerl unschlüssig. Wahrscheinlich war es Mitleid und die Ähnlichkeit mit meinem Sohn, die mich weich werden ließen. Ich fuhr mit Sascha in meine Wohnung.
So wie er momentan aussah, wären wir sowieso in keinem Restaurant oder Café hereingelassen worden.
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