Autor | Katja Piel | |
Buchtitel | THE Hunter – Der Teufel schreibt E-Mails | |
Genre | Mystery | |
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„Wie war dein Wochenende, Ron?“, fragte sein Kollege Sam aus dem Softwarevertrieb, als er sich seinen ersten Kaffee für heute aus der Gemeinschaftsküche holte.
„Es war toll! Ich war in den Bergen und habe großartige Fotos gemacht. Maggy und die Kinder haben im See gebadet.“ Ron gab Zucker und Milch in den Becher, rührte um. „Und ihr? Warst du angeln?“, fragte er und lehnte sich an die Wand.
„Keine Zeit! Michelles Mutter ist überraschend gekommen und ich konnte mich nicht aus dem Staub machen.“ Sam stellte sich neben Ron. Genüsslich tranken sie ihren Kaffee, als der Chef rein kam. Die Männer stießen sich von der Wand ab und nahmen Haltung an.
„Sie müssten seit zwei Minuten an Ihren Arbeitsplätzen sitzen. Aber wenn Ihre Zahlen so gut sind, Mr. Applebie und Mr. Johnson, dann können Sie ja gleich noch Ihr Frühstück auspacken“, bellte Mr. Glasfish wütend, ehe er die Tür hinter sich ins Schloss donnerte.
Nicht ohne kurz auf die große Uhr geguckt zu haben, verließ Ron die Küche. Es waren gerade mal zwei Minuten gewesen, die er sich mit Sam unterhalten hatte. Oh, wie er Montage hasste und seinen Chef. Schon am Morgen auf der Herfahrt hatte er ihn im Auto verflucht. Wie oft blieb er länger im Büro oder verplemperte auf Außendienstterminen Privatzeit.
Das nächste Mal, schwor er sich, werde ich ihm etwas Passendes sagen. Er stellte den Kaffee neben sein Notebook, schaltete es ein und wartete, dass sich die Anmeldemaske aufbaute. Nachdem Ron das Passwort eingetippt hatte, drückte er die Enter-Taste und trank den Becher leer, während der Rechner alle Programme lud, die im Hintergrund liefen. Ungeduldig trommelte er auf die Tischplatte. Als der Rechner endlich betriebsbereit war, klickte Ron wie jeden Morgen zuerst auf sein E-Mail-Programm. Aber auch hier musste er wieder warten, bis alle Systeminformationen geladen worden waren. Dämlicher Geizhals, dachte er. Lässt den Vertrieb mit den ältesten Rechnern arbeiten und wirft uns dann noch vor, selbst schuld zu sein.
„Also mein Notebook macht keine Mucken“, pflegte Glasfish dann zu sagen.
Dabei war der Chef nicht immer so gewesen. Als Ron vor fünf Jahren hier angefangen hatte, war die Firma noch im Aufbau gewesen. Die Wirtschaftslage hatte damals super ausgesehen. Viele Betriebe brauchten die Software, die sie anbieten konnten, um ihre Prozesse zu optimieren und vor den eigenen Kunden gut dazustehen.
Aber seit einigen Monaten war der Boss zum Kotzbrocken mutiert. Regelmäßig schrie er seine Angestellten an, verlangte permanent Überstunden, reagierte dennoch pedantisch, wenn man hie und da später kam. Die Bezahlung war außerdem schlecht. Immer wieder musste Ron über abgerechnete Projekte diskutieren und manchmal endete das Gespräch damit, dass er sein Geld überhaupt nicht bekam. Weil er so frech nachgefragt hatte, meinte der Chef.
Der Stress übertrug sich seit einigen Monaten auch auf Rons privates Leben. Er hatte kaum noch die Kraft, sich mit den Kindern zu beschäftigen, weil er müde und angespannt nach Hause kam. Sex mit seiner Frau? Er wusste nicht mehr, wann sie sich überhaupt das letzte Mal angesehen hatten, geschweige denn berührt. Dieses Wochenende war das erste seit Wochen, das er mal wieder mit seiner Familie verbracht hatte. Sonntagabend war der Stresspegel allerdings schon wieder gestiegen und am Montag wachte Ron mit quälenden Kopfschmerzen auf. Trotzdem hetzte er ins Büro.
Das Telefon schreckte ihn aus seinen trüben Gedanken auf, und er meldete sich mit fester Stimme.
„Mr. Applebie. Kommen Sie bitte in mein Büro.“ Glasfish.
Ron schluckte, sperrte seinen Rechner und ging zum Fahrstuhl, der ihn ein Stockwerk höher brachte, wo er über den Flur hinweg bereits das geöffnete Büro Glasfishs sehen konnte.
Der Chef winkte ihn zu sich herein und bat ihn, die Tür zu schließen.
„Setzen Sie sich.“
Mit wackeligen Knien folgte Ron der Aufforderung. Hatte er was angestellt?
„Mr. Applebie. Wir haben bereits festgestellt, dass Ihre Zahlen in den letzten Wochen rapide gesunken sind. Nachdem wir geforscht haben, woran es liegen könnte, haben wir herausgefunden, dass Sie offensichtlich lieber Ihre Naturfotografien auf diversen Plattformen teilen und sogar zum Kauf anbieten.“
Ron fiel ein Stein vom Herzen. Es ging also lediglich um sein Hobby, mit dem er sich am Feierabend beschäftigte. „Ja, Sir. Aber was hat meine Fotografie, die ich in meiner Freizeit betreibe, mit meiner Arbeit zu tun? Einige Projekte sind ja…“
„Die Projekte, die Sie gerade ansprechen, Mr. Applebie, sind über unsere Consultants reingeholt worden. Sie werden mir doch sicherlich nicht widersprechen, nicht wahr?“, seine Stimme duldete keinen Einwand. Ernst blickte der Boss ihn aus seinen kleinen Augen an. „Ich schlage vor, Mr. Applebie, dass Sie sich Ihr Hobby aus dem Kopf schlagen und wieder für unsere Firma da sind. Selbstverständlich bleibt unser Gespräch in diesem Raum und ich werde von einer Abmahnung Abstand nehmen.“
Ron war sprachlos! Sollte das bedeuten, er würde für seine Arbeit kein Geld bekommen, weil die Projekte angeblich auch ohne ihn geholt worden wären? Und was hatte sein Boss noch gesagt? Kein Hobby? Er hatte fest mit der Provision gerechnet. Die Kinder brauchten neue Betten. Sie wollten schon dieses Wochenende losfahren und sich beraten lassen. Mutlos sank Ron tiefer in den Stuhl. Nach der Ansprache traute er sich nicht mehr, Glasfish nach seinem wohlverdienten Geld zu fragen.
„Mr. Applebie. Das war alles“, entließ er ihn und tippte bereits irgendetwas auf seiner Notebook-Tastatur.</
br> Mit wackligen Knien stand Ron auf und verließ das Büro. Auf dem Weg zum Lift klingelte sein Handy. Maggy! Lustlos ging er ran.
„Ron, denkst du bitte daran, Mr. Glasfish nach dem Vorschuss zu fragen?
Wir müssen am Wochenende eine Anzahlung leisten, sonst bekommen wir die Betten nicht geliefert.“ Fröhlich trällerte die Stimme seiner Frau aus dem Hörer.
„Ja Schatz, er ist nicht da. Unterwegs. Ich schaue, ob ich ihn morgen sprechen kann“, log er und sein Magen drehte sich um.
„Aber vergiss es nicht wieder, ja? Bis heute Abend.“
Ron schluckte schwer und fühlte sich schwindelig. Mit hängenden Schultern ging er an seinen Platz, entsperrte den Rechner und öffnete das führende System des Unternehmens, in dem seine heutigen To Do`s auf einem Blick zu sehen waren. Innerlich stöhnte er, denn die meisten seiner heutigen Aufgaben schob er bereits seit Wochen immer wieder nach hinten. Mit dem Mauszeiger fuhr er über die erste Aufgabe, las die Telefonnummer ab, überflog seine letzte Notiz und rief den möglichen Kunden an, dem er schon seit Wochen hinterher telefonierte. Während er dem Freizeichen lauschte, scrollte er durch seine E-Mails und blieb an einer hängen, die von Glasfish kam. Sein Herz setzte einen Moment aus, als er den Betreff las:
Herzlichen Glückwunsch, Mr. Applebie
Was hatte das zu bedeuten? In dem Moment hörte er eine Stimme am Telefon.
„IT Department, Fisher“, meldete sich eine strenge, gestresste wirkende Dame.
Rons Finger zitterten, als er mit einem Doppelklick die Nachricht öffnete. Schnell schaute er nach der Uhrzeit. Vor wenigen Minuten! Seine Gedanken wirbelten chaotisch im Kopf umher.
„Hallo?“, fragte die weibliche Stimme.
„Ehm, hallo. Ja, hier spricht Applebie von Software and…“
„Kein Interesse!“
Aufgelegt!
Ron legte den Hörer auf und widmete seine Aufmerksamkeit der E-Mail.
Er musste den Text mehrmals lesen, denn so ganz wurde er daraus nicht schlau. Eben erst war er aus dem Büro des Chefs gekommen und nun hatte er eine E-Mail vorliegen, in der er ihm zu den Projekten gratulierte und ihm einen Vorschuss von 1000 Dollar auszahlen wollte. Die Personalabteilung wüsste bereits Bescheid, wenn er sich dort melden würde. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, sein Herz hatte heftig zu schlagen begonnen. Ron verstand die Welt nicht mehr. Wieso hatte er eben beim Chef gesessen?
Er las die E-Mail ein weiteres Mal und unterzeichnete damit sein Todesurteil …
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