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Autor | Kirsten Wendt | |
Buchtitel | Migräne ist ein doofer Kopfmann – Vom Leben mit dem Gewitter im Kopf | |
Genre | Humor / Romanhafte Biografie |
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Warum es nicht noch einmal mit einem Heilpraktiker versuchen? Sicher, da habe ich schon einiges hinter mir, und unsere Globuli-Sammlung im Medizinschrank ist beachtlich. Vieles habe ich schon gelesen über Bachblüten, Homöopathie und Schüssler Salze. Seit einem schmerzenden Milchstau während der Stillzeit schwöre ich grundsätzlich auf die Kraft der Kugel. Denn weder Quarkwickel noch Eisbeutel brachten seinerzeit meiner gepeinigten Brust Linderung. Ein einziges, weißes Kügelchen, das die Hebamme mir in den Mund schob, bereitete dem Spuk ein Ende – ich schwöre!
Seitdem versuche ich an dieses Erlebnis anzuknüpfen, doch leider ohne Erfolg.
Der dritte Heilpraktiker meines Lebens soll ganz großartige Dienste tun, habe ich gehört. Also fahre ich ein Stück weit und lande in einer gemütlich eingerichteten Praxis. Herr Dieter ist mir sympathisch. Kein Spinner, kein Ex-Versicherungsvertreter und auch kein ehemaliger Profiboxer.
Das lässt hoffen. Es versteht sich von selbst, dass man sich bei einem Heilpraktiker besser betreut fühlt als bei Schulmedizinern. Denn hier ist man zahlender Kunde und darf alles erzählen, was man auf dem Herzen hat.
Die Anamnese nimmt Herr Dieter ordentlich auf und er stellt gute Fragen. Er weiß nun, dass ich bereits versucht habe, mit Beta-Blockern gegenzusteuern und davon zehn Kilo zugenommen habe. Dass ich Probleme mit meiner Trigeminus-Neuralgie habe – unglaubliche Schmerzen im Kieferbereich, sodass sich die Migräne quasi auf das Gesicht ausweitet – und dass ich natürlich den ganz normalen Stress einer berufstätigen Mutter mit zwei Kindern habe, während der Papa in der weiten Welt arbeiten darf.
Alles läuft bestens bei Herrn Dieter, ich freue mich bereits auf meine Medikation. Bestimmt gibt er mir gleich etwas zur Darmreinigung sowie zur Immunstärkung und dann endlich tolle Mittelchen für den Schädel. Ich liebe diese wundersamen Formulierungen der Heilpraktiker wie „Dir fehlt eindeutig etwas Aconitum und täglich Silicea“. Dann verstehe ich zwar kein Wort, glaube aber daran, dass die Natur ganz genau weiß, was für mich wegweisend ist. Man braucht hierfür nur den richtigen Fachmann, der genau hinschaut und alle Besonderheiten ordentlich erfasst.
Herr Dieter möchte mich nun auch genau anschauen, nämlich in die Pupillen. Anhand seiner Pupillendiagnostik kann er herauslesen, wie es um mich steht.
Aha. Ich packe mein Kinn auf das altertümliche und optikerähnliche Gerät und starre den Seher an. Er räuspert sich, er schüttelt den Kopf und kann es kaum glauben, was er in meinen Augen sieht. „Moment, ich muss eben was nachschlagen“, murmelt Herr Dieter irritiert. Oh Gott, was hat er in mir gefunden? Nach eingehender Prüfung seines dicken Heilpraktikerpupillenbuches guckt er noch einmal nach, nickt dann und bittet mich darum, eine entspannte Sitzhaltung einzunehmen. Auf alles gefasst, lausche ich seinen sorgsam formulierten Worten. „Frau Nauer, das ist in Ihrem Alter sehr selten. Ich konnte es selbst erst nicht richtig glauben, aber Sie haben Krampfringe!“
Betretenes Schweigen. Krampfringe. Muss ich jetzt sterben? „Sie stehen unter starkem Druck, Frau Nauer, da müssen wir unbedingt zuerst etwas dran tun. Bevor ich Ihre Migräne behandeln kann, müssen wir die verräterischen Spuren in Ihren Pupillen verschwinden lassen. Wenn…. wenn es dafür nicht schon zu spät ist.“
Oje, Herr Wichtigtuer, mit meinem Vertrauen in Ihre Kompetenz ist es nun schlagartig vorbei. Selten so einen Blödsinn gehört, doch ich erkundige mich vorsichtshalber noch einmal genauer. Herr Dieter erläutert seine Krampfringtheorie noch eingehend, doch wie erwartet, kommt nur Bullshit dabei heraus. Ich glaube, er merkt das nach einigen Sätzen selber und schwenkt um. Wo ich schon einmal da sei, könne er mir gleich die erste Sitzung Elektroakupunktur zukommen lassen. Ach, Akupunktur, na gut, mein letzter Versuch mit den klassischen Nadeln beim Frauenarzt ist wirklich eine Ewigkeit her und war zugegebenermaßen sehr halbherzig durchgeführt. Was, zum Teufel, ist denn Elektroakupunktur? Irgendwie ein Widerspruch in sich in so einer Ökobude, aber Herr Dieter holt schon seinen silbernen Metallstab von der Fensterbank. „Das wird Ihnen helfen, ich schätze, Sie spüren schon nach drei oder vier Behandlungen eine deutliche Besserung.“
Klar, das sagen sie alle! Und mit alle meine ich alle. Ich hatte bisher noch keinen einzigen Therapeuten, Heilpraktiker, Masseur oder Ernährungsberater, der nicht bereits beim ersten Gespräch im Brustton der Überzeugung behauptete, mir werde es dank seines Erfahrungsschatzes bald besser gehen. Vorausgesetzt natürlich, ich mache richtig mit! Wer nicht richtig mitmacht, ist selbst schuld – das weiß jeder Migräniker. Wir Leidenden wollen nach Auffassung aller selbsternannter Experten ganz offenbar krank bleiben und uns nicht helfen lassen. Dass der Misserfolg so vieler Ansätze daran liegen könnte, dass gegen Migräne leider noch kein Kraut gewachsen ist, daran denken diese Schlaumeier nicht eine Sekunde lang nach.
Nun hält Herr Dieter seinen Zauberstab fest und ich muss sicherlich nicht explizit erwähnen, an was mich das erinnert. Weisungsgemäß schließe ich die Augen und spüre einen angenehmen und leichten Druck an Schläfe, Schulter, Gesicht und Nacken. Warm und elektrisch vibriert das Akupunkturding an mir rum und ich kann nichts dagegen einwenden. Schön.
Angenehmer jedenfalls als diese spitzen Nadeln und das mitunter spritzende Blut bei richtiger Akupunktur. Ich glaube allerdings nicht ansatzweise daran, dass das irgend etwas mit mir macht oder mich abholt, wo ich stehe.
Bald soll ich wiederkommen, freut sich Herr Dieter. Er sieht mich quasi schon als geheilt an dank all seiner tollen Instrumente. Mit einem grünen Privatrezept, auf dem allerhand Zeugs verordnet ist, werde ich an die Tür begleitet. Zuhause checke ich im Internet die Mittelchen in Ruhe und rufe meinen geliebten Hausarzt an. Der lacht sich kaputt, auch wenn er sonst nie über Kollegen lästert und durchaus alternative Heilpraktiken schätzt.
Meine Sammlung der uneingelösten grünen Zettelchen in der Schuhschrankschublade wächst weiter.
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